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Von einem kleinen Lichtstrahl der die Finsternis der Nacht durchbrach

Von einem kleinen Lichtstrahl der die Finsternis der Nacht durchbrach

 

Der Flixbus aus Berlin kam pünktlich an. Bis zur Mahnwache blieben also noch ein paar Stunden. Genügend Zeit, um sich die Gegend anzusehen. Und bereits auf den ersten Blick hatte man den Eindruck dass man an einem besonderen, merkwürdigen Ort angekommen ist.

„Wirtshaus zum Schlachthof“, Metzgerartikel, Messerschleiferei, „Schlachthoffriseur“. Als hätte man diese Gegend für eine Filmproduktion zu einem bestimmt Film ausgesucht, um hier Szenen zu drehen.

Irgendwie wurde mir plötzlich kalt. Kälter als noch vor ein paar Minuten. Mein Handythermometer konnte den plötzlichen Temperaturunterschied jedoch nicht bestätigen.

Irgendwie lebensfremd – lebensbefremdet; das ging mir durch den Kopf.

Langsam tauchten auch die Menschen auf, die an der Mahnwache vor dem Schlachthaus Teil  haben wollten oder sie organisiert hatten.

Insgesamt, von der ersten Minute bis zur letzten Minute der Mahnwache, waren wir nicht sehr viele.

Aber hat es eine Bedeutung? Nein. Im Grunde gar keine. Weniger ist mehr (kann mehr sein). Und so war es auch diesmal. Mathematik, Statistiken und Zahlen traue ich mittlerweile immer weniger.

Langsam wurde ein Teppich ausgelegt – ein Teppich voller Lichter, ein Kerzenteppich sozusagen.

Und die Kerzen wie aus der Kirche oder von unseren Friedhöfen, auf denen die Menschengräber sind.

Weil man die lieben Verstorbenen oder jene, die ermordet worden sind oder anders tragisch ums Leben gekommen sind, nicht vergessen will und sie auch nach ihrem Tod tief im Herzen tragen möchte.

Weil sie in unseren Köpfen und Herzen weiterleben werden.

Und deshalb waren diese Kerzen hier vor der Mauer eines Schlachthofes richtig. Am richtigen Ort.

Und je dunkler es draußen wurde, umso heller wurde das Licht, dieser Kerzen-Teppich.

 

Hinter den Mauern dieses Schlachthofes gibt es ein Restaurant, gleich an der Einfahrt, direkt dahinter. Und die Gäste dort saßen auch draußen, bis sehr spät in der Nacht, und sie feierten, lachten laut, hatten Spaß. Über ihnen eine Bierwolke – Oktoberfest in München. Und es war eine Nacht in Oktober, von 3 bis auf 4.Oktober.

Und wie erwartet, mit Einbruch der Nacht, der Dunkelheit, kamen auch die Transporte.

Herkunft – keine Ahnung, Zielort – Vernichtungslager hinter der Mauer.

An uns und an den im Restaurant laut feierten Menschen etwa 3 Meter entfernt vorbeifahrende Transporte.

Man konnte ihre Augen sehen. Mir kam absolut spontan eine Assoziation für die ich, tut mir leid, nichts kann: Kindertransporte. Große Augen, Augen voller Angst. Wieso? Weswegen? Wohin? All das konnte man in ihnen lesen.

Ahnungslos, unschuldig, verwirrt; fremden Menschen und einem eisernen, eiskalten System  völlig ausgeliefert, einem System das sie zum Tode verurteil hat und sie nun auch dorthin fährt.

Und um sie herum plötzlich laute Musik. Volksmusik. Und lautes Feiern.

Na ja und wir, die wir bei jedem vorbeifahrenden, in den Schlachthof einfahrenden Transporter in Stille nebeneinander standen, mit hocherhobenen Händen und in ihnen Schilder, die an die Menschen, die Menschheit, appellierten: Lasst die Tiere leben, Tiere sind keine Sachen, Tiere sind leidensfähige Wesen!

Alles zusammen irgendwie irre. Eine Mischung aus paradox, dekadent, grausam, pervers und völlig absurd. Schwer in Worte zu fassen. Krank einfach.

Plötzlich kam auch der Restaurantbesitzer oder Betreiber auf uns zu. Mit zwei Bodyguards, vermutlich um seine Botschaft zu verdeutlichen. Angst brauchte er vor uns jedenfalls keine haben.

Er meinte, wir belästigten seine Gäste.

‚Wir? Die wir hier stillschweigen stehen?‘, dachte ich mir. Wir und nicht die vorbeirasenden Transporter mit nach Hilfe schreienden Gefangenen. Mit ihren Schreien, den lauten Motoren der LKWs. Die scheinbar gar nicht.

Paradox, absurd, irgendwie irrsinnig.

Die LKW-Fahrer starrten vor sich hin, sie machen ihren Job – würden sie vermutlich sagen. Sie müssen von irgendwas leben. Das müssen sie bestimmt. Aber ein LKW Fahrer machte kurz sein Fenster auf und schrie uns zu: Auf – Wieder –Sehen! Wir kommen morgen wieder!

Tierquälerei und Dekadenz gehören irgendwie zusammen, ging mir die ganze Zeit durch den Kopf.

Wenn der Mensch Tiere quält bzw. sie tötet, (oder auch für sich töten lässt bzw. dem gleichgültig zusieht) verliert ein Stück seine Seele (eigene Identität), dachte ich mir, ging mir einfach so durch den Kopf.

Ich wusste, ich muss auf jeden Fall tiefer in das Gelände. In eine Grauzone, d.h.,wo es erlaubt und vielleicht doch nicht erlaubt ist. War mir aber auch ehrlich gesagt egal, wo die Grenze verläuft. Hier wurden bereits mehrere Grenzen überschritten. Deshalb war es belanglos.

Ich wollte kurz dorthin, wo sie abgestellt worden waren, die Transporter und ihre Insassen, die nun auf ihren allerletzten Weg warteten, bis sie hingerichtet wurden.

Und ich sah sie. Zum Tode erschreckt, mit weit geöffneten Augen, eben Kinder. Augen, ahnungslos, unschuldig, völlig hilflos, ausgeliefert. Ich war also kurz bei ihnen. Habe sie auf ihrem letzten Weg für die letzten Stunden ihres Lebens gesegnet. Mit weit ausgebreiteten Händen und mit meiner Animal Spirit Community Stola, Zeichen der priesterlichen Macht, die mir von Oben gegeben worden ist, um die Schulter.

Mein Gebet war sehr einfach. Gott, steh ihnen nun bei. Ganz besonders jetzt, wo sie von allen verlassen worden sind, nehme ihnen bitte die Angst ab. Mach dass es schnell vorbei ist, schnell und schmerzlos, soweit es nur irgendwie geht und möglich ist.

Du kennst die Todesangst Gott, Du warst vor Deinem Tod von deinen Jüngern verlassen, Blut geschwitzt, aus Angst. Du hattest selber Angst. Es war damals auch mitten in der Nacht. Damals in Gethsemani.

Ich ging dann nochmals hin. Später, nach Sonnenaufgang. In der Früh und im Laufe des Vormittags kommen die „Rindertransporte“, klärte mich jemand auf. Da wollte ich noch einmal hin.

Diesmal erwartete mich ein anderes Bild. Genauso obszön. Dennoch anders. Die Rinder wurden gerade „ausgeladen“ und neben ihnen zwei Männer in ganz langen Schürzen, keine Ärzte jedenfalls. Und ein Kind sah ich auch. Etwa 13/14 Jahre altes Kind. Ein Kind mit Behinderung. Offensichtlich spastisch, weil es sich festhalten musste, um sich fortzubewegen. An seinen Schritten konnte man es gut erkennen. Ich habe über zwanzig Jahre mit Kindern und Jugendlichen mit mehrfacher Behinderung gearbeitet, damals noch in Wien, in einer Caritas-Einrichtung, und sie begleitet. Spastische Kinder waren auch dabei.

Dieses Kind mit Behinderung, dort, an diesem Ort, zwei Männer mit Blut verschmierten langen Schürzen, die zusammengepferchten, völlig verstörten und erschrockenen Rinder …

Ein Bild, das man nun schwer beschreiben kann. Ich kann es bis heute nicht. Wieder eine Mischung von völlig gestört, psycho, völlig daneben, irre in jeglicher Hinsicht.

Erschreckend. Ja, einfach irgendwie nur irre.

Später erklärte mir jemand, dass das Kind oft dabei ist. Vermutlich deshalb, weil sein Vater niemanden hat, bei dem er seinen Sohn lassen könnte. Oder weil das Kind gerne mit Papas LKW fährt. So genau weiß das natürlich niemand. Daran, dass ihn die Blutspuren an Papas langen Schürzen gefallen oder er Freude hat, neben völlig verstörten, verängstigen, schreienden Tieren zu stehen Spaß macht, glaubt jedenfalls niemand. Ich auch nicht.

Irre das Ganze irgendwie. Einfach nur Irre.

Es scheint, als ob der Ort von Gott und allen guten Geistern verlassen wäre. Vielleicht auf den ersten Blick, ja, aber nicht wirklich. Gott hat man in der Geschichte mehrmals verdächtig gemacht, schuldig gesprochen, dass er an gewissen Orten, zu gewissen Zeiten, gefehlt hat, diese Orte vergessen und verlassen hat. Nein, hat er nicht. Mein Gott ist der Gott der großen Empathie und dass hat er in seinem Sohn, dem Zimmermann aus Nazareth deutlich gemacht. Mein Gott, der Gott der Christen, leidet mit.

In dieser Nacht, an diesem Ort, brannte für die leidenden Tiere Licht. Viele Lichter. Ein Teppich voller Lichter. Lichter und Herzen.

Ein kleines Licht mit ihren Eltern ging an unserer Mahnwache vorbei. Und es fragte seine Mama, was hier los ist. Ihre Mama flüsterte dem kleinem Licht ins Ohr, was sich hinter dieser Mauer abspielt. Ich fragte das Mädchen, ob es für die leidende Tiere auch eine Kerze anzünden möchte. Das Mädchen wollte es auch. Wir haben uns eine schöne Kerze ausgesucht und das Mädchen zündete sie ganz alleine an. Es war ihr auch wichtig. Dann standen wir so kurz in Stille, das kleine Licht, seine Eltern und ich. Und neben uns andere TierschützerInnen.

 

Ich habe in dieser Nacht wieder mal etwas gelernt: Tierquälerei, Finsternis und Dekadenz mieten gerne den gleichen Raum und fühlen sie sich in ihm dann gemeinsam auch wie Zuhause.

Es ist dann ein sehr dunkles Zuhause.

Es gibt aber keinen Raum, keinen Ort auf dieser Erde, den man nicht mit Licht füllen kann. Sei es ein Sonnenstrahl, sei es eine einzige kleine Kerze, eine oder sogar ganz viele Kerzen.

Und jeder solcher Sonnenstrahl, jedes Kerzenlicht, selbst wenn es das kleinste der Welt ist, ist in der Lage, ein Stück der Finsternis zu vertreiben. Und es war auch in dieser Nacht nicht anders. An dem, wie man denken möchte, von Gott verlassenem Ort.

Viel Licht in vielen Herzen. Es waren die Lichter der Hoffnung auf eine tierleidfreie Welt.

„Ihr seid das Licht der Welt“, meinte der Gott der Christen, der Gott der endlosen Empathie, mein Gott.

Nur bewusst muss es uns vorerst noch werden. Bewusst, wie viel Kraft einem einzigen Sonnenstrahl innewohnt, einem Sonnenstrahl oder einem Kerzenlicht, überhaupt dem Licht.

Und auch bewusst, was so ein kleiner Lichtstrahl zu bewirken vermag.

Es gibt auf dieser Welt viele, ganz viele dunkle Räume und Orte, wo die Finsternis innewohnt. Orte, Räume, in die man Licht hintragen muss. Vom Leben verlassen Orte.

Wir brauchen Lichtträger, diese Welt braucht Lichtträger. Viele von ihnen braucht die Welt.

„Viele kleine Leute in vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern.“

(afrikanisches Sprichwort)

 

Danke für die Licht-Wache in München.

Ganz besonderen Dank an Dich liebe Dani (Böhm)! Für die gemeinsame Stunden, die Mahn- Licht – Wache!  Für Alles was du für sie (Tiere in Not ) tust!

 

 

Tomasz Jaeschke, Tier-Mensch-Seelsorger, Animalpastor

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Kommentare: 2
  • #1

    Roswitha Rhomberg (Samstag, 13 Oktober 2018 15:09)

    " Oh mein Gott in mir, sag mir, … WIe spricht sich`s zu solchen Lebendgeschichten, wohinleuchten mit meinem Beitrag, meinem LebensLicht, wenn das Gefühl schon versagt, was schreiben zu können? …
    … vielleicht mit einem Gebet, das zu mir kam, als ich selbst in einem dunklen Raum mich fühlte - schlachtreif? und womit ich mich bei euch allen und den Tieren, die das für uns hinnehmen, um viele Menschen sich ihres Mitgefühls und der Liebe rückerinnern zu lassen:

    Lieber Gott in mir, hilf mir und allen/m,
    laß mich die Welt durch deine Augen erlieben,
    festige meinen Mut und laß ihn durch alles fließen,
    male deine Bilder für mich, durch mich
    und laß mich als Stern im Jetzt erstrahlen,
    führe und begleite meine Schritte durch den Erschaffensprozeß über mich
    und laß mich das sein in allem was ich bin,
    Freude und Liebe und stütze mich,
    während wir in Einem den Himmel mit der Erde verbinden,
    Jetzt"

    In dankbarer Verbundenheit Roswitha und die Tiere

  • #2

    Ursula Kutter (Sonntag, 21 Oktober 2018 13:39)

    Danke für deine mitfühlenden Worte, die ganz klar das entsetzliche Elend und die Angst der armen Tiere schildern.